Mit Pferden auf Tour

Zwischen Gardasee und Dolomiten

6.000 Höhenmeter in sechs Tagen, allein 2.000 Meter am ersten Tag, insgesamt 200 Kilometer auf den schönsten Strecken im italienischen Trentino, herzliche, offene Menschen, die oberitalienische Küche und grandiose Naturerlebnisse – das sind die Zutaten für einen Wanderritt auf dem Fernwanderreitweg „Ippovia del Trentino Orientale“.

Text und Fotos: Robert Claus

Auf Einladung der „Natura a Cavallo“ (italienischer Verein vergleichbar mit der VFD in Deutschland) lernte ich den schönsten Teil der „Ippovia Del Trentino Orientale“ kennen. Das sind 400 Kilometer Reitwege, die auf 15 Etappen aufgeteilt sind und sich auf das Gebiet der Lagoraikette, das Trentino, die Dolomiten und das Valsugana Primiero erstrecken. Die Strecken sind sehr gut ausgeschildert, führen über 66 Prozent befestigte Forststraßen, 20 Prozent asphaltierte Straßen durch Ortschaften und auf 14 Prozent der Wege muss „geklettert“ werden. Auf den jeweiligen Etappen gibt es Übernachtungsmöglichkeiten in von der Ippovia ausgewählten Pensionen und Hotels, auf der Strecke kann in bewirtschafteten Hütten Rast gemacht oder sogar übernachtet werden. An diesem Projekt sind insgesamt 35 Gemeinden beteiligt, die Wege und Ausschilderungen pflegen.

Mein Startort ist Ziano im Val di Fiemme bei Predazzo. Enni Mattioli betreibt die Wanderreitstation „Johnson Ranch“ und ist darüber hinaus Ansprechpartnerin des Wanderreitprojektes, das ich in den nächsten Tagen kennen lernen soll. Morgens um 8 Uhr satteln wir die Pferde, ich bekomme den sehr braven Haflingerwallach „Jason“ zur Verfügung gestellt. Anna Spielvogel reitet einen Quarter, Wanderrittführer Rainer Springer begleitet uns mit seiner Paintstute „Lucky“ und Rittführer Gianfranco Cecco ist mit einer Araberstute dabei. Wir starten auf einer Höhe von 960 Meter und schnell zeigt mein Navi 1.000 Höhenmeter an. Ständig geht es bergauf, hinter und vor uns genießen wir die herrlichen Bergpanoramen des Monte Agnello (2.357 m). Die Wege sind noch breit, leicht geschottert und alle Abzweigungen sind mit Reitwegeschildern versehen. Ebenfalls sind deutlich große Reitverbotsschilder angebracht. Gianfranco erklärt uns, dass man diese Wege auf keinen Fall reiten darf, da sie auch für Fußgänger schon eine erhöhte Anforderung bedeuten.

Die erste Einkehr erfolgt auf der „Malga di Valmaggiore“, eine Hütte, die ein kleines Museum beherbergt. Die Ausstellungsstücke sind von den Kämpfen aus dem Jahre 1916, zur Erinnerung an den umkämpften Passo Sadole, den Ungarn, Österreich und Italien für sich beanspruchten. Nach einer heißen Tasse Kaffee machen wir uns an den Aufstieg auf den 2.066 Meter hoch gelegenen Pass. Wir staunen nicht schlecht als wir bei ca. 1.700 Metern in die Schneegrenze vorstoßen und auf den Serpentinen den Weg nur noch erahnen können. Der Wintereinbruch Ende Juni hat auch die Einheimischen überrascht. Der Aufstieg vom Startort bis zum Pass dauert insgesamt drei Stunden und wir werden mit einem herrlichen Rundblick über die südlichen Dolomiten entschädigt. Direkt vom Pass führen wir unsere Pferde einen steinigen, steilen Weg bergab auf 1.800 Meter und kehren in der Almhütte „Malga Fossernico“ ein. Umringt von Kühen und Eseln stärken wir uns mit einer zünftigen Schlachtplatte bevor es in Richtung Etappenziel über Caoria nach Punta Tappa Giaroni weiter geht. Die Wege sind befestigt, zum Teil steinig und sehr breit. Nur manchmal wird es eng mit steilen Abhängen, aber gut zu reiten. Wer Höhenangst hat, führt sein Pferd. Immer wieder begegnen wir den Hinweisschildern der Ippovia Orientale, die uns auch Kilometer und Reitzeit zum nächsten Ort anzeigen. Wir waren an diesem Tag etwas über 7 Stunden im Sattel und haben 35,8 Kilometer absolviert.

Am nächsten Morgen erfahre ich, dass wir an diesem Tag sogar zwei Etappen reiten, damit ich auch möglichst viele Eindrücke des Naturparks Paneveggio-Pale mit nach Hause nehmen kann. Gianfranco führt uns über Straßen durch „Canal San Bovo“, immer neben wilden Bergflüssen mit zahlreichen malerischen Cascaden durch das Nuvola Tal nach Castello Tessino. Es geht teilweise durch Waldgebiete, aber hauptsächlich reiten wir durch kleine Ortschaften. Lang zieht sich der Weg durch Imer und Mezzano, entlang des Gebirgflusses „Torrente Cismon“, dessen wildes Rauschen uns bis kurz vor die Wanderreitstation Punto Tappa Mondin begleitet. Majestätisch erheben sich neben und vor uns die weißen Felswände aus weißem Dolomitengestein, dem Namensgeber der Bergregion. Wir ruhen uns im Ristorante Cont del Bal aus, dessen Besitzer uns mit der Kutsche entgegenkommt und im flotten Trab zu seinem Domizil führt. Es ist ein typisches Ausflugslokal mit sehr guter einheimischer Speisekarte und für die Pferde gibt es Anbindemöglichkeiten.

Von 731 Meter steigt unser weiterer Reitweg bis auf 1.600 Meter an und wir sind beeindruckt vom grandiosen Felsmassiv des Pale di San Martino, die bis über 3.000 Meter in den Himmel ragen. Am Ende des Tals sehen wir unser nächstes Etappenziel, St. Martino die Castrozza. Der bekannte Wintersportort ist umringt von Skipisten mit seinen Liften, die wir zum Teil mit unseren Pferden überqueren. St. Martino ist ein sehr gepflegter Ort mit zahlreichen Hotels, Cafés, Restaurants und einer kleinen Geschäftswelt. Wir reiten durch die Fußgängerzone und auf einer steilen Skipiste klettern wir zu unserem Nachtquartier, ein Hotel direkt an den Skistationen mit einem kleinen Stall aus der Jahrhundertwende. Nachdem unsere Tiere in den vergangenen Tagen in Boxen gestanden haben, müssen sie sich nun mit engen, aber offenen Ständern begnügen. Getrennt durch Holzbalken können sich die Pferde beschnuppern, stehen ruhig und gelassen, sodass es keine Probleme gibt. Mein Navi zeigt am Abend 42,3 Kilometer und eine reine Reitzeit von 8 Stunden und 40 Minuten an.

Am dritten Reittag bleiben wir auf der 25 Kilometer langen Route ständig auf einer Höhe von 1.600 Metern, reiten auf breiten Wald- und Gebirgswegen und treffen auf zahlreiche Wandergruppen. Herrlich der eiskalte Gebirgssee Lago di Calaita mit der Dolomitenspitze des Velo Della Madonna im Hintergrund. Wir lassen unsere Pferde vom glasklaren Wasser saufen und kühlen ihre Beine. Auf der bewirtschafteten Almhütte „Lozen“ genießen wir die Eigenprodukte der Inhaber. Schinken, Speck, Wildsalami und Milchprodukte lassen unseren Gaumen jubeln und wir vergessen fast, dass wir noch gut 10 Kilometer bis zum Ziel zurücklegen müssen. Im gemütlichen Schritt reiten wir dann in Richtung Canal San Bovo, wo unsere Tiere die zweite Nacht verbracht hatten. Wir reiten durch den wilden Fluss Vanoi, holen uns nasse Füße und kommen trotzdem gut gelaunt im Stall unseres Rittführers, Gianfranco, an.

Der vierte Reittag führt uns wieder in Richtung Predazzo zurück über den Passo Sadole. Auf breiten befestigten Wegen, entlang kleiner Gebirgsbäche geht es nun ständig bergauf von 770 bis auf 2.000 Meter. Der felsige Anstieg auf den Pass lässt uns heftig ins Schwitzen kommen. Wie beim Abstieg führen wir die Pferde die letzten 500 Höhenmeter. Unser Rittführer legt nun alle 100 bis 200 „Gehmeter“ eine Pause von zwei bis drei Minuten ein. Für die beschwerliche Kletterstrecke benötigen wir fast eine Stunde und werden oben von einer Reitgruppe mit großer Bewunderung empfangen. Sie haben von Predazzo einen Tagesritt unternommen und gemeinsam reiten wir zum großen Reiterlager des deutsch-italienischen Freundschaftstreffen in die oberitalienische Stadt zurück. Auch diese Etappe war mit 28 Kilometern gut zu schaffen und mit einer Reitzeit von knapp sechs Stunden locker zu bewältigen. Lediglich der Aufstieg zum Pass verlangt eine gute Kondition.

Am Sonntagmorgen fahre ich nach einem schönen Reiterfest mit etwas Wehmut in Richtung Norden. Es war mein erster Ritt in Höhen von über 1.400 Metern. Auf der Ippovia del Orientale habe ich Reitstrecken kennen gelernt, von denen ich bisher nur träumte. Irgendwo war ich als „Flachländer“ ein Versuchskaninchen, ob es funktioniert, diese Gebirgsstrecken zu reiten. Ich war erstaunt über den guten Zustand der Wege, die trotz des langen Winters von trittsicheren und gut konditionierten Pferden problemlos geritten werden können. Bergunerfahrene Reiter sollten einen Rittführer der Natura a Cavallo engagieren, außerdem kann man vor Ort Pferde mieten. Begeistert hat mich auch die gute Infrastruktur der Ippovia del Trentinon Orientale: perfekt ausgeschilderte Wege, gute Unterkünfte und überall Einkehrmöglichkeiten für Reiter. In jedem Ort gibt es außerdem Brunnen mit Trinkwasser für die Pferde. Letztendlich gewann ich neue Freunde, lernte von den Erfahrungen der Wanderreitführer in den Bergen und werde im kommenden Jahr wieder eine Reise auf der Ippovia del Orientale unternehmen.