Mit Pferden auf Tour

Von Null auf Hundert: zu Pferd von Niederösterreich bis ans Schwarze Meer

vier Reiter sitzen auf Pferden und recken Arme in die Höhe

Am 7. Mai 2017 war es geschafft: Nach insgesamt 53 Reittagen, 2.200 Kilometern und mehr als 30.000 Höhenmetern hatten vier begeisterte Wanderreiter ihr Ziel erreicht. Nahe dem rumänischen Urlaubsort Konstanza umspülten die Wellen des Schwarzen Meeres die Hufe ihrer Pferde. Fünf Jahre lang setzten die Wanderreiter ihre Reise jeweils Anfang Mai für 10 bis 14 Tage immer an der Stelle fort, wo sie im Vorjahr beendet wurde. Wir haben mit Ulrich Müller, einem der vier Wanderreiter, über diesen Abenteuerritt gesprochen.

Ulrich, gemeinsam mit drei Freunden bist Du von Wiener Neustadt, etwa 50 Kilometer südlich von Wien gelegen, bis ans Schwarze Meer geritten, das ist eine ziemlich lange Strecke. Stimmt es, dass Du vorher überhaupt nicht reiten konntest?

Ja, das stimmt! Ich hatte bis kurz vor diesem großen Wanderritt kaum Erfahrung mit Pferden und setzte auf „learning by doing“. Eigentlich sollte ich nur die Begleitmannschaft unterstützen und für die ganze Gruppe kochen. Ich bin ein recht guter Hobbykoch und kann auch improvisieren. Ali, der Initiator der Reise, hat zwei Pferde, beides Wallache mit derselben Mutter. Bislang waren immer beide Pferde bei seinen jährlichen Wanderritten dabei, die Brüder waren also noch nie getrennt. Daher wollte er unbedingt beide Pferde auf diese gewagte Reise mitnehmen. Doch dann verletzte sich die Mitreiterin, die eines der Pferde, Dalí, hätte reiten sollen. Und so kam ich ins Spiel.

Ist das nicht ein bisschen verrückt?

Ich bin als Universitätsdozent wahrscheinlich nicht dumm, aber dass ich normal bin, habe ich nie behauptet. Natürlich ist das verrückt! Sich einfach aufs Pferd zu setzen und gleich so einen Wanderritt mitzumachen, ohne wirklich reiten zu können … Ich habe bis dahin ja nur wenige Male auf einem Pferd gesessen, vielleicht fünf Mal. Ab dem Entschluss es zu wagen, war ich dann jede Woche bis zum Abritt ausreiten. Mittlerweile habe ich mit Dalí auf mehreren Wanderritten, inklusive des Rittes an das Schwarze Meer, bestimmt 4.500 bis 5.000 Kilometer zurückgelegt. Heute würde ich sagen sitze ich ganz passabel im Sattel, doch damals war das nicht ganz ungefährlich. Die Gefahren für mich und das Pferd waren mir damals nicht bewusst. Rückblickend würde ich es deshalb vielleicht nicht mehr so machen. Wobei ich betonen möchte, dass die drei Kollegen immer sehr gut auf mich und Dalí aufgepasst haben. Ich habe mich nie unsicher gefühlt.

Mit dem Hänger ging es jedes Jahr dorthin zurück, wo die Etappe des Vorjahres geendet hat.

Ihr seid also südlich von Wien gestartet und dann?

Unser Weg führte uns von Katzelsdorf, südlich von Wien gelegen, nach Osten über Budapest, durch die ungarische Puszta Richtung Oradea, das Apusenigebirge im Nord-Osten Rumäniens, entlang des Karpatenbogens durch Siebenbürgen, quer über die Karpaten bis an die moldawische Grenze heran und schließlich hinunter ins Donaudelta und ans Schwarze Meer. Wir haben diese gewaltige Strecke von insgesamt über 2.200 Kilometern in fünf Etappen geteilt, die wir über fünf Jahren hinweg geritten sind. Jedes Jahr haben wir den Ritt für zwei Wochen dort fortgesetzt, wo wir ihn im Vorjahr beendet haben. Die gesamte Strecke haben wir auf unseren eigenen Pferden zurückgelegt, vier gut trainierten und trittsicheren Trakehnern.

Das sind bei rund 2.200 Kilometern und insgesamt 53 Reittagen im Schnitt gute 40 Kilometer pro Tag.

Ja, wenn man es so glatt rechnet. Doch die Bedingungen waren recht unterschiedlich, sodass man das so pauschal nicht sagen kann. Bei besten Reitbedingungen in Ungarn haben wir schon mal 68 Kilometer am Tag geschafft. In den gebirgigen Regionen Rumäniens hingegen konnten wir unter extremen Bedingungen teilweise nur 25 Kilometer bewältigen. Doch bei dieser Reise ging es uns ja auch nicht um Geschwindigkeit oder darum, etwas unter Beweis zu stellen. Der Reiz des Wanderreitens liegt für mich darin, die Natur zu genießen und mit Menschen auf dem Land und unterwegs in Verbindung zu kommen. Das eigene Leben und das Abenteuer zu spüren, Erlebnisse einzufangen, ohne gleich nach eigenen Normen und Einschätzungen zu werten und zu beurteilen, das sind nur einige Dinge, die ich von dieser Reise für mich mitgenommen haben.

Die Wegbedingungen waren sehr unterschiedlich. In gebirgigen Regionen ging es manchmal nur langsam voran.

Wie habt Ihr die Wanderritte und Routen geplant?

Die jährlichen Etappen haben wir jeweils mit minimaler Planung gestartet. So ein Abenteuerritt quer durch drei Länder lässt sich schwer planen. Weder das Wetter noch die Reitbedingungen vor Ort lassen sich im Voraus sicher abschätzen. So war im dritten Jahr ursprünglich die Überquerung der Karpaten nahe der Stadt Bran und vorbei am legendären Schloss Dracula vorgesehen. Schlechtes Wetter und Schnee auf den Pässen zwangen uns dann jedoch weit auszuweichen und den Gebirgsbogen schließlich an seiner niedrigsten Stelle im Osten zu überqueren.

Und wie habt Ihr es mit Unterkunft und Verpflegung gemacht?

Auf den verschiedenen Etappen stand uns ein Begleitfahrzeug zur Verfügung, mit dem das Gepäck und Futter für die Pferde transportiert wurden. Da die Strecke nicht festgelegt war, konnten wir erst unterwegs geeignete Quartiere suchen. In der Früh wurden gemeinsam die Richtung und die angestrebte Distanz für die Tagesetappe festgelegt. Im Zielgebiet wurde dann von der vorausfahrenden Mannschaft im Begleitfahrzeug nach einer Übernachtungsmöglichkeit für Ross und Reiter gesucht. Erst am frühen Nachmittag war damit für uns Reiter klar, welche exakten Koordinaten bis zum Abend anzusteuern waren. Tagsüber waren wir auf uns alleine gestellt, ein Navigationsgerät diente zur Orientierung. Oft haben wir unser Ziel erst spät nach Sonnenuntergang erreicht. Bevor wir uns selbst zum Abendessen setzen konnten, hieß es dann noch Paddock aufbauen und Pferde versorgen.

Tagsüber waren die Reiter auf sich alleine gestellt, ein Navigationsgerät diente der Orientierung.
Zwischen der tatsächlich gerittenen Strecke und der Route des Navigatoinsgerätes liegen manchmal Welten. Das sollte man bei der Abschätzung einer Tagesetappe immer bedenken.

Gibt es einen praktischen Tipp, den Du den Leser*innen mitgeben kannst?

Sich mit dem Pferd auf den Weg machen und genießen! Die Erfahrung dieser Reise sagt: Das Verhältnis zwischen der tatsächlich auf dem Pferd zurückgelegten Strecke und der kürzesten, vom Navigationsgerät angegebenen Gehdistanz ergibt eine Zahl von etwa 1,7. Das heißt im Umkehrschluss, dass man für die Abschätzung der Tagesleistung beim Wanderreiten in unwegsamem und unbekanntem Gelände die kürzeste Gehstrecke mit der Zahl 1,7 multiplizieren muss, sofern man sich nicht brav entlang der Straße bewegen möchte. Reitet man querfeldein, gibt es unterwegs viele Gründe für Verzögerungen: tiefe Gräben, steile Abhänge, Zäune, Straßen, Eisenbahnlinien, Bäche oder Flüsse, die überwunden werden müssen. Da kann es schon mal vorkommen, dass man weit vom Weg abkommt und ein improvisiertes Nachtlager in einem Heustadel aufschlagen muss. In solchen Situationen gilt es zusammenzuhalten, zu improvisieren und die Nerven zu behalten.

Was waren Eure schönsten Erlebnisse während des Rittes?

Die Strapazen der Reise wurden durch unfassbare Eindrücke und Erlebnisse belohnt. Dazu gehörten freundliche Begegnungen mit der heimischen Bevölkerung, die sich durch große Hilfsbereitschaft auszeichnete, und ein Eintauchen in schöne unberührte Landschaften mit ihrer Flora und Fauna. Eine Begegnung mit einem Wolf verlief harmlos. In den Karpaten hat uns der noch warme Kot eines Bären am Weg mitten Wald und abseits jeglicher Zivilisation schon etwas mehr Angst gemacht. Und auch mehrere Begegnungen mit Schlangen im Süden Rumäniens zeigten, dass wir in einer weitgehend unberührten Natur unterwegs waren.

Angekommen: Die Strapazen des Wanderrittes wurden durch unzählige schöne Eindrücke und unvergessliche Erlebnisse belohnt.

Du und der Initiator der Reise, Ali Kollar, habt beschlossen, ein Buch über Euren Ritt zu schreiben. Wann können wir uns darauf freuen?

Ja, das ist richtig. Von den verschiedenen Etappen gibt es unzählige Fotos und Filmaufnahmen, die wir jährlich zu einem Diavortrag und einem Dokumentarfilm zusammengefasst haben. Vier Etappenfilme stehen auf Youtube zur Verfügung. Ansonsten haben wir Filme und Fotos bislang nur an Vortragsabenden präsentiert. Nun haben wir uns entschlossen, die auf der Reise gewonnenen Eindrücke auch noch in einem gemeinsamen Buch zusammenzufassen. Mit dem illustrierten Bildband wollen wir den Lesern und Leserinnen Hintergründe über das Abenteuer Wanderreiten liefern. Sofern jemand in Erwägung zieht, sich ebenfalls auf einen längeren Trip mit seinem Pferd zu begeben und dabei vielleicht auch wagt, fremde Länder zu erkunden, so liefert dieser Bericht eventuell hilfreiche Hinweise und Tipps. „Mit dem Pferd bis ans Schwarze Meer – Österreich, Ungarn, Rumänien“ wird voraussichtlich im November 2019 erscheinen.

Bist Du nun endgültig mit dem Pferde- und Wanderreitvirus befallen und wirst Du nochmal auf so eine große Tour zu Pferd gehen?

Letztes und dieses Jahr habe ich wieder je einen Wanderritt mit Ali unternommen: einmal quer durch die Steiermark bis zurück zum Sommerquartier der Pferde im Burgenland und das andere Mal von Salzburg nach Linz. Und seit ich reite, waren wir jedes Jahr im Herbst zwei bis drei Tage mit den Pferden unterwegs. Die Frage ist, wie toppt man so ein Abenteuer? Wir haben überlegt von zuhause aus quer durch die Slowakei und Polen bis hinauf nach Danzig zu reiten oder quer durch Schweden bis hinauf zum Polarkreis. Die Vorhaben sind alle sehr reizvoll und wir werden sicher wieder gemeinsam etwas unternehmen. Die Konstellation von Reitern und Pferden wie in Rumänien besteht aber nicht mehr. Franz, einer der Reitkameraden, ist 67 und möchte so langen Touren nicht mehr unternehmen. Und Freunde, wie das Ehepaar Itzlinger, die mit großem Einsatz in den ersten Jahren den Begleitdienst gemacht haben, sind nicht einfach zu finden. Ali wird 2020 alleine den Jakobsweg von Wiener Neustadt bis nach Santiago de Compostela reiten. So viel Zeit habe ich leider nicht, aber einige Tage werde ich ihn vielleicht begleiten. Und was dann kommt, werden wir sehen. Alles zu seiner Zeit.

Uli, ich danke Dir für dieses Gespräch!