Im August 2009 reitet Michaela Fuchs auf dem Appaloosa-Wallach Diamond und in Begleitung ihres Schäferhundes Rex einmal quer durch Deutschland. Ihr Ausgangspunkt: Rötenberg im Schwarzwald, ihr Ziel: Berlin. In 30 Tagen legen sie und ihre vierbeinigen Begleiter rund 800 Kilometer zurück. Aber diese Reise ist mehr als ein ausgedehnter Wanderritt, denn: Michaela ist fast blind. Das Wanderreiter-Magazin hat die 39-jährige zwei Tage lang auf ihrer außergewöhnlichen Tour begleitet.
Text und Fotos: Heike Gruber
Es ist ein strahlend schöner Sommertag mit
wolkenlosem blauem Himmel, als ich im 200-Seelen-Dorf Wechterswinkel
mitten in der Rhön ankomme. Hier bin ich mit Michaela Fuchs verabredet,
um sie über das Wochenende ein Stück auf ihrer außergewöhnlichen
Reittour vom Schwarzwald nach Berlin zu begleiten. Mit gerade einmal 3
Prozent Sehvermögen hat sie sich auf diese lange Reise quer durch
Deutschland begeben, mit einem Ziel: Sie möchte zeigen, dass auch
Menschen mit Behinderung Besonderes leisten können. Unterstützt wird sie
dabei von ihrer Freundin Monika Müller, die sie als Trosserin
begleitet, und ihrem Schäferhund Rex, einem ausgebildeten
Blindenführhund.
Vor dem Gasthaus Klosterschänke in Wechterswinkel
steht ein blauer VW-Bus mit Pferdeanhänger, darin entdecke ich den bunt
gefleckten Appaloosa „Diamond“, der gemütlich am Heu knabbert. Im Innern
des dunklen und nahezu menschenleeren Gastraumes sitzt eine junge Frau
an ihrem Labtop, die Augen nur wenige Zentimeter vom Bildschirm
entfernt. Sie hat kurz geschnittenes, fast weißes Haar und trägt trotz
der sommerlichen Temperaturen eine langärmelige Jacke. Michaela ist
gerade dabei, die neuesten Berichte für ihr Online-Tagebuch zu
verfassen, das sie für Freunde und Familie während der Reise führt. Zu
ihren Füßen liegt ihr Schäferhund Rex und klopft freundlich mit seinem
Schwanz auf den Boden. Seit gut zwei Wochen ist Michaela bereits
unterwegs. Am 1. August 2009 haben sich die gebürtige Rötenbergerin und
ihre Begleiter auf den Weg gemacht. Das ganze Dorf war auf den Beinen
und sogar der Bundstagsabgeordnete Volker Kauder war gekommen, um bei
der Verabschiedung von Michaela dabei zu sein.
Es ist mittlerweile später Vormittag und die Zeit drängt. Immerhin möchte der Trupp an diesem Tag noch gute 15 Kilometer Strecke zurücklegen. Und dann soll erst einmal Bergfest gefeiert werden! Denn die Hälfte der Strecke haben die vier bereits zurückgelegt. „Ursprünglich hatten wir geplant, jeden Tag 30 Kilometer zu reiten“ erzählt Michaela. „Aber es stellte sich schnell heraus, dass wir das nicht schaffen. Viele Wege eignen sich nur für Schritttempo, sodass ich nur langsam voran komme und mit dem Navi klappt es auch nicht immer so gut wie gedacht. Deshalb ist unser Tagespensum mittlerweile auf rund 15 Kilometer geschrumpft“. Größere Städte und verkehrsreiche Gebiete durchqueren die vier mit dem Bus und Pferdehänger – auch aus Sicherheitsgründen.
Blindenhund Rex ist immer an Michaelas Seite.
Michaelas wichtigster Partner neben Monika und
Diamond ist Rex. Er ist ein ausgebildeter Blindenführhund und warnt sie
vor Hindernissen. Eine große Hilfe ist außerdem ihr Restsehvermögen, das
es ihr immerhin ermöglicht, Umrisse und Farben zu erkennen. Größte
Schwierigkeiten bereiten ihr Bordsteinkanten, Zäune oder die
herunterhängenden Äste der Bäume beim Reiten. Sie kann außerdem nicht
erkennen, ob der Grasstreifen am Rand der Straße eben und damit
bereitbar oder ein Graben ist. Autos hört sie, bevor sie sie sieht und
graue Straßenpoller oder Laternenmasten gehören zu potenziellen
„unsichtbaren“ und „unhörbaren“ Hindernissen. In all diesen Fällen kommt
Rex zum Einsatz. Er signalisiert ihr, wenn sie auf ein Hindernis
zureitet, indem er davor stehen bleibt. Michaela kann Rex anhand seiner
orangefarbenen Warnweste erkennen, die er immer trägt. Außerdem hat sie
ein kleines Bündel Münzen an seinem Halsband befestigt, sodass sie immer
hört, wo Rex sich gerade befindet. „Natürlich ist es aber etwas ganz
anderes, Rex vom Pferd aus zu führen“, sagt sie. „Der Kontakt zwischen
Mensch und Hund ist weniger eng und auch Pferd und Hund müssen sich erst
aneinander gewöhnen.“ Michaela erzählt, dass Rex am Anfang viel gebellt
hat und um Diamond herum gesprungen ist. Doch mittlerweile sind die
drei ein richtig gutes Team.
Damit sie sich nicht verirrt, hat Michaela ein
Navigationsgerät dabei, das über Sprachbefehle die Richtung weist.
Monika transportiert im Bus das Gepäck, kümmert sich um die Unterkünfte
für die Nacht und radelt ihr manchmal auch ein Stück entgegen.
In der Zwischenzeit hat Michaela Diamond aus dem Hänger geholt. Wer glaubt, sie taste sich vorsichtig und langsam voran, der irrt gewaltig. Man sieht ihr kaum an, dass sie stark sehbehindert ist. Mit der größten Selbstverständlichkeit putzt und sattelt sie Diamond, jeder Handgriff sitzt.
Bevor es los geht, wird die Route geplant.
Bevor es losgeht, stimmen Michaela und Monika die
Strecke ab und geben das Ziel in ihr Navigationsgerät ein. Da Wald- und
Feldwege in den digitalen Kartengrundlagen meist nicht erfasst sind,
wählen die beiden am liebsten Radwanderwege aus. Diese sind
normalerweise gut gekennzeichnet und Michaela kann sich auf diesen Wegen
besser zurechtfinden. Im Notfall kann sie über das Handy Kontakt mit
Monika aufnehmen. Dennoch ist sie unterwegs hauptsächlich auf sich
selbst gestellt, denn bei der Suche nach dem richtigen Weg können ihr
weder Monika noch Rex helfen.
Rex ist es an diesem Sommer-Vormittag eindeutig zu heiß: Sobald sich die erste Möglichkeit bietet, verschwindet er im Bus und lugt nur noch vorsichtig zwischen dem Gepäck hervor. „Rex hat keine Lust“ lacht Michaela. Außerdem hat er sich ein paar Tage vorher eine böse Verletzung am Bein eingefangen, die sogar genäht werden musste, sodass er ein paar Tage Bus fahren durfte. Bei der Hitze werde ich ihm das auch heute gönnen, entscheidet Michaela kurz entschlossen. „Das Wohl der Tiere hat bei allem, was ich hier tue, absoluten Vorrang“. Ob sie sich denn auch ohne Rex zurechtfindet, frage ich. „Das geht mittlerweile“ sagt Michaela. „Mit jedem Tag, den ich unterwegs bin, übernimmt Diamond mehr und mehr die Führungsrolle, als ob er von Rex gelernt hat. Er zeigt mir mittlerweile sehr viele Dinge an, indem er die Ohren in eine bestimmte Richtung dreht oder geschickt Hindernisse umgeht. Ich kann mich voll auf ihn verlassen.“
Pferd und Hund passen gemeinsam auf.
Es geht los. Ich bekomme das Fahrrad von Monika und
bin Anfangs noch guter Dinge. Doch die Rhön kann sehr steil sein!
Während ich mich keuchend mit dem Drahtesel den Hang hinaufschleppe,
marschiert Diamond fröhlich drauf los. Wir folgen einem Waldweg, doch
leider ist das Navi hier im Wald weniger zuverlässig und ich muss
feststellen, dass es uns auch nicht viel nützt, dass ich sehen kann.
Natürlich verirren wir uns und stehen irgendwann in einer Sackgasse. Es
bleibt uns nichts anderes übrig, als ein Stück querbeet zu gehen. Weil
Michaela die herunterhängenden Äste der Bäume nicht sieht, steigt sie
lieber ab. Ich staune, mit welcher Selbstverständlichkeit und
Leichtigkeit sie sich durch das Dickicht bewegt. An Diamonds Seite
findet sie sicher ihren Weg.
Endlich erreichen wir wieder einen richtigen Radweg.
Hier radle ich schnell voraus, um einen guten Platz zum Fotografieren
zu finden. Damit Michaela sich beim näher kommen nicht erschreckt, rufe
ich ihr zu, aber sie lacht und ruft zurück „Das weiß ich schon längst!
Diamond hat Dich schon gesehen!“
Auf den ausgebauten Fahrradwegen kommen wir gut
voran und erreichen nach gut vier Stunden unseren Treffpunkt mit Monika.
Rex freut sich, sein Frauchen wieder zu sehen und Diamond steigt gerne
in den wartenden Pferdehänger. Mittlerweile ist er schon sehr routiniert
und weiß, dass der Hänger für ihn eine Pause bedeutet. Nun heißt es,
eine Unterkunft für die Nacht zu finden. Kurz hinter der Grenze nach
Thüringen werden wir fündig: Im Gästehaus Wofsmühle in Unterharles
werden wir herzlich aufgenommen. Für Diamond gibt es einen schönen
sauberen Paddock und eine große Portion Heu. Monika, Michaela und ich
schlagen mit Erlaubnis der Besitzer auf der großen Wiese hinter dem Haus
unsere Zelte auf.
Noch lange sitzen wir an diesem Abend bei Kerzenschein und Wein beisammen und Michaela erzählt aus ihrem Leben. Sie leidet an einer ausgeprägten Form des „Albinismus“ und ist seit ihrer Geburt stark sehbehindert. Zum Schutz vor der Sonne trägt sie eine dunkle Sonnenbrille und immer langärmelige Kleidung, denn ihre Haut reagiert extrem empfindlich auf starke Sonneneinstrahlung. Sie verlässt sich viel auf ihre anderen Sinne wie hören, schmecken und riechen, erklärt sie. Und sie trägt meist Schuhe, mit denen sie einen guten Bodenkontakt hat und besser spüren kann, worauf sie läuft. „Dabei sind meine anderen Sinne nicht besser als Deine“ sagt sie. „Ich bin einfach nur geübter darin, sie einzusetzen.“
Spezielle Schuhe schützen die Pfoten von Rex.
Die gelernte Heilpädagogin und experientielle
Reittherapeutin (IFERT) hat als Sportlerin u. a. in der Disziplin
Fahrradfahren bereits mehrfach erfolgreich an den Paralympics
teilgenommen. Dennoch wird ihr im Alltag vieles nicht zugetraut und bis
heute sucht sie beruflich vergebens nach einer Festanstellung. Mit der
Reittour möchte Michaela allen Skeptikern zeigen, dass auch ein Handicap
wie das ihrige kein Hindernis für besondere Leistungen sein muss. Ihr
Vorbild für die Tour war Sabriye Tenberken, eine blinde Frau, die
alleine bis nach Tibet reiste und dort eine Blindenschule eröffnete.
„Sie hat es geschafft, alleine durch ein Land mit einer fremden Kultur
und Sprache zu reisen. Warum sollte ich es also nicht schaffen mit einem
Pferd und meinem Blindenführhund vom Schwarzwald nach Berlin zu reiten“
erzählt Michaela den Anfang ihrer Idee. Unterstützung für ihren Plan
fand sie bei Monika Müller, die gemeinsam mit ihrem Mann Eberhard auf
der Zollernalb die Wanderreitstation „Pelzmühle“ betreibt. Gemeinsam
machten sie sich an die Planung der Reise. Sponsoren wurden gesucht, ein
VW-Bus gemietet und Rex wurde bei der Eschbronner Tiertherapeutin
Alexandra Vetters-Müller sogar einem vorbereitenden Training unterzogen.
Damit er sich nicht wund läuft, hat er außerdem eigene Schuhe bekommen,
die im Laufe der Reise zu seinem regelrechten Markenzeichen wurden.
Meistens war es weniger seine auffallende orangefarbene Warnweste mit
der Aufschrift „Blindenführhund“, die für Aufmerksamkeit sorgte, sondern
vielmehr seine kleinen roten Schuhe. Der erstaunte Ausruf „Der hat ja
Schuhe an!“ hat Michaela auf ihrer Reise stets begleitet.
Michaela hat es geschafft. Am 30. August 2009 haben
sie, Diamond, Rex und Monika ihr Ziel Berlin erreicht. Und nicht nur
das. Sie hat auch gezeigt, dass es möglich ist, mit Handicap
selbstständig zu leben und Außergewöhnliches zu leisten. An ihrem
Beispiel wird deutlich, wie Körper und Geist den Verlust eines Sinnes
ausgleichen können, und so das machbar wird, was manch einer für
unmöglich hielt. Und nebenbei hat diese Reittour durch ganz Deutschland
ihr und ihrem Team auch noch viel Spaß, viele Erlebnisse und viele
schöne Erinnerungen gebracht. Nachahmenswert also auch für Menschen ohne
Handicap!
Im August 2009 reitet Michaela Fuchs auf dem Appaloosa-Wallach Diamond und in Begleitung ihres Schäferhundes Rex einmal quer durch Deutschland. Ihr Ausgangspunkt: Rötenberg im Schwarzwald, ihr Ziel: Berlin. In 30 Tagen legen sie und ihre vierbeinigen Begleiter rund 800 Kilometer zurück. Aber diese Reise ist mehr als ein ausgedehnter Wanderritt, denn: Michaela ist fast blind. Das Wanderreiter-Magazin hat die 39-jährige zwei Tage lang auf ihrer außergewöhnlichen Tour begleitet.
Text und Fotos: Heike Gruber
Es ist ein strahlend schöner Sommertag mit wolkenlosem blauem Himmel, als ich im 200-Seelen-Dorf Wechterswinkel mitten in der Rhön ankomme. Hier bin ich mit Michaela Fuchs verabredet, um sie über das Wochenende ein Stück auf ihrer außergewöhnlichen Reittour vom Schwarzwald nach Berlin zu begleiten. Mit gerade einmal 3 Prozent Sehvermögen hat sie sich auf diese lange Reise quer durch Deutschland begeben, mit einem Ziel: Sie möchte zeigen, dass auch Menschen mit Behinderung Besonderes leisten können. Unterstützt wird sie dabei von ihrer Freundin Monika Müller, die sie als Trosserin begleitet, und ihrem Schäferhund Rex, einem ausgebildeten Blindenführhund.
Vor dem Gasthaus Klosterschänke in Wechterswinkel steht ein blauer VW-Bus mit Pferdeanhänger, darin entdecke ich den bunt gefleckten Appaloosa „Diamond“, der gemütlich am Heu knabbert. Im Innern des dunklen und nahezu menschenleeren Gastraumes sitzt eine junge Frau an ihrem Labtop, die Augen nur wenige Zentimeter vom Bildschirm entfernt. Sie hat kurz geschnittenes, fast weißes Haar und trägt trotz der sommerlichen Temperaturen eine langärmelige Jacke. Michaela ist gerade dabei, die neuesten Berichte für ihr Online-Tagebuch zu verfassen, das sie für Freunde und Familie während der Reise führt. Zu ihren Füßen liegt ihr Schäferhund Rex und klopft freundlich mit seinem Schwanz auf den Boden. Seit gut zwei Wochen ist Michaela bereits unterwegs. Am 1. August 2009 haben sich die gebürtige Rötenbergerin und ihre Begleiter auf den Weg gemacht. Das ganze Dorf war auf den Beinen und sogar der Bundstagsabgeordnete Volker Kauder war gekommen, um bei der Verabschiedung von Michaela dabei zu sein.
Es ist mittlerweile später Vormittag und die Zeit drängt. Immerhin möchte der Trupp an diesem Tag noch gute 15 Kilometer Strecke zurücklegen. Und dann soll erst einmal Bergfest gefeiert werden! Denn die Hälfte der Strecke haben die vier bereits zurückgelegt. „Ursprünglich hatten wir geplant, jeden Tag 30 Kilometer zu reiten“ erzählt Michaela. „Aber es stellte sich schnell heraus, dass wir das nicht schaffen. Viele Wege eignen sich nur für Schritttempo, sodass ich nur langsam voran komme und mit dem Navi klappt es auch nicht immer so gut wie gedacht. Deshalb ist unser Tagespensum mittlerweile auf rund 15 Kilometer geschrumpft“. Größere Städte und verkehrsreiche Gebiete durchqueren die vier mit dem Bus und Pferdehänger – auch aus Sicherheitsgründen.
Michaelas wichtigster Partner neben Monika und Diamond ist Rex. Er ist ein ausgebildeter Blindenführhund und warnt sie vor Hindernissen. Eine große Hilfe ist außerdem ihr Restsehvermögen, das es ihr immerhin ermöglicht, Umrisse und Farben zu erkennen. Größte Schwierigkeiten bereiten ihr Bordsteinkanten, Zäune oder die herunterhängenden Äste der Bäume beim Reiten. Sie kann außerdem nicht erkennen, ob der Grasstreifen am Rand der Straße eben und damit bereitbar oder ein Graben ist. Autos hört sie, bevor sie sie sieht und graue Straßenpoller oder Laternenmasten gehören zu potenziellen „unsichtbaren“ und „unhörbaren“ Hindernissen. In all diesen Fällen kommt Rex zum Einsatz. Er signalisiert ihr, wenn sie auf ein Hindernis zureitet, indem er davor stehen bleibt. Michaela kann Rex anhand seiner orangefarbenen Warnweste erkennen, die er immer trägt. Außerdem hat sie ein kleines Bündel Münzen an seinem Halsband befestigt, sodass sie immer hört, wo Rex sich gerade befindet. „Natürlich ist es aber etwas ganz anderes, Rex vom Pferd aus zu führen“, sagt sie. „Der Kontakt zwischen Mensch und Hund ist weniger eng und auch Pferd und Hund müssen sich erst aneinander gewöhnen.“ Michaela erzählt, dass Rex am Anfang viel gebellt hat und um Diamond herum gesprungen ist. Doch mittlerweile sind die drei ein richtig gutes Team.
Damit sie sich nicht verirrt, hat Michaela ein Navigationsgerät dabei, das über Sprachbefehle die Richtung weist. Monika transportiert im Bus das Gepäck, kümmert sich um die Unterkünfte für die Nacht und radelt ihr manchmal auch ein Stück entgegen.
In der Zwischenzeit hat Michaela Diamond aus dem Hänger geholt. Wer glaubt, sie taste sich vorsichtig und langsam voran, der irrt gewaltig. Man sieht ihr kaum an, dass sie stark sehbehindert ist. Mit der größten Selbstverständlichkeit putzt und sattelt sie Diamond, jeder Handgriff sitzt.
Bevor es losgeht, stimmen Michaela und Monika die Strecke ab und geben das Ziel in ihr Navigationsgerät ein. Da Wald- und Feldwege in den digitalen Kartengrundlagen meist nicht erfasst sind, wählen die beiden am liebsten Radwanderwege aus. Diese sind normalerweise gut gekennzeichnet und Michaela kann sich auf diesen Wegen besser zurechtfinden. Im Notfall kann sie über das Handy Kontakt mit Monika aufnehmen. Dennoch ist sie unterwegs hauptsächlich auf sich selbst gestellt, denn bei der Suche nach dem richtigen Weg können ihr weder Monika noch Rex helfen.
Rex ist es an diesem Sommer-Vormittag eindeutig zu heiß: Sobald sich die erste Möglichkeit bietet, verschwindet er im Bus und lugt nur noch vorsichtig zwischen dem Gepäck hervor. „Rex hat keine Lust“ lacht Michaela. Außerdem hat er sich ein paar Tage vorher eine böse Verletzung am Bein eingefangen, die sogar genäht werden musste, sodass er ein paar Tage Bus fahren durfte. Bei der Hitze werde ich ihm das auch heute gönnen, entscheidet Michaela kurz entschlossen. „Das Wohl der Tiere hat bei allem, was ich hier tue, absoluten Vorrang“. Ob sie sich denn auch ohne Rex zurechtfindet, frage ich. „Das geht mittlerweile“ sagt Michaela. „Mit jedem Tag, den ich unterwegs bin, übernimmt Diamond mehr und mehr die Führungsrolle, als ob er von Rex gelernt hat. Er zeigt mir mittlerweile sehr viele Dinge an, indem er die Ohren in eine bestimmte Richtung dreht oder geschickt Hindernisse umgeht. Ich kann mich voll auf ihn verlassen.“
Es geht los. Ich bekomme das Fahrrad von Monika und bin Anfangs noch guter Dinge. Doch die Rhön kann sehr steil sein! Während ich mich keuchend mit dem Drahtesel den Hang hinaufschleppe, marschiert Diamond fröhlich drauf los. Wir folgen einem Waldweg, doch leider ist das Navi hier im Wald weniger zuverlässig und ich muss feststellen, dass es uns auch nicht viel nützt, dass ich sehen kann. Natürlich verirren wir uns und stehen irgendwann in einer Sackgasse. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als ein Stück querbeet zu gehen. Weil Michaela die herunterhängenden Äste der Bäume nicht sieht, steigt sie lieber ab. Ich staune, mit welcher Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit sie sich durch das Dickicht bewegt. An Diamonds Seite findet sie sicher ihren Weg.
Endlich erreichen wir wieder einen richtigen Radweg. Hier radle ich schnell voraus, um einen guten Platz zum Fotografieren zu finden. Damit Michaela sich beim näher kommen nicht erschreckt, rufe ich ihr zu, aber sie lacht und ruft zurück „Das weiß ich schon längst! Diamond hat Dich schon gesehen!“
Auf den ausgebauten Fahrradwegen kommen wir gut voran und erreichen nach gut vier Stunden unseren Treffpunkt mit Monika. Rex freut sich, sein Frauchen wieder zu sehen und Diamond steigt gerne in den wartenden Pferdehänger. Mittlerweile ist er schon sehr routiniert und weiß, dass der Hänger für ihn eine Pause bedeutet. Nun heißt es, eine Unterkunft für die Nacht zu finden. Kurz hinter der Grenze nach Thüringen werden wir fündig: Im Gästehaus Wofsmühle in Unterharles werden wir herzlich aufgenommen. Für Diamond gibt es einen schönen sauberen Paddock und eine große Portion Heu. Monika, Michaela und ich schlagen mit Erlaubnis der Besitzer auf der großen Wiese hinter dem Haus unsere Zelte auf.
Noch lange sitzen wir an diesem Abend bei Kerzenschein und Wein beisammen und Michaela erzählt aus ihrem Leben. Sie leidet an einer ausgeprägten Form des „Albinismus“ und ist seit ihrer Geburt stark sehbehindert. Zum Schutz vor der Sonne trägt sie eine dunkle Sonnenbrille und immer langärmelige Kleidung, denn ihre Haut reagiert extrem empfindlich auf starke Sonneneinstrahlung. Sie verlässt sich viel auf ihre anderen Sinne wie hören, schmecken und riechen, erklärt sie. Und sie trägt meist Schuhe, mit denen sie einen guten Bodenkontakt hat und besser spüren kann, worauf sie läuft. „Dabei sind meine anderen Sinne nicht besser als Deine“ sagt sie. „Ich bin einfach nur geübter darin, sie einzusetzen.“
Die gelernte Heilpädagogin und experientielle Reittherapeutin (IFERT) hat als Sportlerin u. a. in der Disziplin Fahrradfahren bereits mehrfach erfolgreich an den Paralympics teilgenommen. Dennoch wird ihr im Alltag vieles nicht zugetraut und bis heute sucht sie beruflich vergebens nach einer Festanstellung. Mit der Reittour möchte Michaela allen Skeptikern zeigen, dass auch ein Handicap wie das ihrige kein Hindernis für besondere Leistungen sein muss. Ihr Vorbild für die Tour war Sabriye Tenberken, eine blinde Frau, die alleine bis nach Tibet reiste und dort eine Blindenschule eröffnete. „Sie hat es geschafft, alleine durch ein Land mit einer fremden Kultur und Sprache zu reisen. Warum sollte ich es also nicht schaffen mit einem Pferd und meinem Blindenführhund vom Schwarzwald nach Berlin zu reiten“ erzählt Michaela den Anfang ihrer Idee. Unterstützung für ihren Plan fand sie bei Monika Müller, die gemeinsam mit ihrem Mann Eberhard auf der Zollernalb die Wanderreitstation „Pelzmühle“ betreibt. Gemeinsam machten sie sich an die Planung der Reise. Sponsoren wurden gesucht, ein VW-Bus gemietet und Rex wurde bei der Eschbronner Tiertherapeutin Alexandra Vetters-Müller sogar einem vorbereitenden Training unterzogen. Damit er sich nicht wund läuft, hat er außerdem eigene Schuhe bekommen, die im Laufe der Reise zu seinem regelrechten Markenzeichen wurden. Meistens war es weniger seine auffallende orangefarbene Warnweste mit der Aufschrift „Blindenführhund“, die für Aufmerksamkeit sorgte, sondern vielmehr seine kleinen roten Schuhe. Der erstaunte Ausruf „Der hat ja Schuhe an!“ hat Michaela auf ihrer Reise stets begleitet.
Michaela hat es geschafft. Am 30. August 2009 haben sie, Diamond, Rex und Monika ihr Ziel Berlin erreicht. Und nicht nur das. Sie hat auch gezeigt, dass es möglich ist, mit Handicap selbstständig zu leben und Außergewöhnliches zu leisten. An ihrem Beispiel wird deutlich, wie Körper und Geist den Verlust eines Sinnes ausgleichen können, und so das machbar wird, was manch einer für unmöglich hielt. Und nebenbei hat diese Reittour durch ganz Deutschland ihr und ihrem Team auch noch viel Spaß, viele Erlebnisse und viele schöne Erinnerungen gebracht. Nachahmenswert also auch für Menschen ohne Handicap!