Willkommen in Obersteinbach! Hier, im nördlichsten Zipfel des Elsass liegt ein wahres Wanderreiterparadies. Entdecken und genießen kann man es mit Herbert Fischer vom Wanderreitbetrieb „Reisen zu Pferd“ und Leiter der Deutschen Wanderreiter-Akademie. An jeweils vier Tagen führt er seine Gäste auf schmalen Sandsteinpfaden zu sagenumwobenen Burgruinen und felsigen Zeugen der Erdgeschichte.
Text und Fotos: Heike Gruber
In
leuchtenden Farben empfängt das kleine elsässische Örtchen
Obersteinbach seine Gäste. In dörflicher Beschaulichkeit reihen sich die
bunten Fachwerkhäuser entlang der Straße, fast scheint es als winkten
sie den Passanten mit ihren roten, blauen und grünen Holzläden zu. An
jedem Fenster, vor jeder Tür bunt bepflanzte Blumenkübel und -kästen,
ein fast übertriebenes Farbenspiel, an dem man sich doch nicht satt
sehen kann.
Auch das „Hotel und Restaurant Anthon“, das in den kommenden vier Tagen der Ausgangspunkt unserer Reittouren sein wird, kommt im hübschen rot daher. Oberhalb des Hotels thronen stolz die Ruine der Burg Klein-Arnsberg und bizarr geformter Sandsteinfels. Wer den Charme vergangener Zeiten und erlesene Speisen zu schätzen weiß, der wird hier, im „Anthon“, glücklich. Denn wenn man mit Herbert Fischer unterwegs ist, darf man nicht nur Ritte auf Traumpfaden erwarten, sondern nach einem erlebnisreichen Reittag auch mit einem Schlemmermenue vom Feinsten rechnen.
Das Hotel und Restaurant Anthon: Hier wohnen die Wanderreiter während ihres Aufenthaltes.
12:00 Uhr ist Treffpunkt am „Maison des Chateaux
Forts“, einem kleinen Museum gleich neben dem Hotel gelegen. Hier
empfängt uns Herbert Fischer, wie immer mit rotem Schal auf weißem Hemd,
und hier treffen wir auch die anderen Reitgäste. Insgesamt sind wir zu
siebt, acht Pferde hat Herbert vom heimatlichen Stall in Reckenthal ins
Elsass mitgebracht. Bei sprudelndem Crémant d’Alsace, Baguette und
Ziegenkäse lernen wir uns kennen, aus Vorfreude wird Freude: Endlich
sind wir hier, heute Abend geht es los zum ersten Ritt!
Dieser wird uns rund um die Ruine der Burg
Luetzelhardt führen, eine der zahlreichen mittelalterlichen
Felsenburgen, die so typisch für diese Region sind. Viele Sagen und
Legenden ranken sich um diese Burgen, sie handeln von Fehden und Liebe,
von den Herren von Wasigenstein und Fleckenstein – keiner erzählt sie
besser als Christine Jahn, die sympathische Leiterin des Maison des
Chateaux Forts. Seit 25 Jahren betreut sie das liebevoll gepflegte
kleine Museum, in dem es vor allem eines gibt: Geschichte zum anfassen.
Da kann man eine schwere Kanonenkugel in den Händen wiegen, kühlen rauen
Sandsteinfels spüren und durch zahlreiche Rekonstruktionen und
Abbildungen einen Eindruck der einst mächtigen und kunstvoll in den Fels
gehauenen Burgen gewinnen.
Am Spätnachmittag treffen wir uns hinter dem Hotel, wo die Pferde auf einer großen Wiese untergebracht sind. Nicht alle wollen sich direkt einfangen lassen und wir locken mit dem Futterbeutel. Dem können auch Django und Kalif nicht widerstehen und lassen sich am Halfter nehmen. Geputzt ist jetzt im Sommer schnell und schon sitzen wir oben.
Seit über 25 Jahren zu Pferd im Elsass unterwegs: Herbert Fischer
Gleich hinter den Häusern empfängt uns die Natur mit
offenen Armen, wir tauchen ein in den angenehm frischen Laubwald, in
dem sich die Hitze des Tages nicht ausbreiten konnte. Schlanke Buchen,
knorrige Eichen und borkige Esskastanien wachsen friedlich Seite an
Seite. Zusammen mit dem nördlich der Landesgrenze gelegenen Pfälzer Wald
bilden die Nordvogesen das größte zusammenhänge Waldgebiet Westeuropas,
welches einer vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt Heimat bietet. 1998
wurde hier daher von der UNESCO das erste grenzüberschreitende
Biosphärenreservat Europas ins Leben gerufen. Heute verbinden zahlreiche
Wanderwege die beiden Regionen, vielen davon folgen auch wir mit
unseren Pferden. Die Markierungen sind gut, nur die kleinen
Verbindungswege des Vogesenclubs sollte man als Reiter meiden, rät
Herbert. Bereits seit 25 Jahren ist er in den Wäldern der Nordvogesen zu
Pferd unterwegs und schon auf manchen felsigen Pfad geraten, der für
die Vierbeiner mehr als ungeeignet war.
Ich lasse mich auf Charmeur hinter Herbert
treiben, muss nicht nach dem Weg suchen, keine Karte lesen, einfach nur
genießen – herrlich. Die Pferde suchen sich trittsicher ihren Weg über
Wurzeln und Felsblöcke, dann wieder erreichen wir einen dieser
wunderbaren Sandwege. Ob Herbert vielleicht…? Und ja, er gibt ein
Handzeichen, schon ist Charmeur im Galopp, er kennt die Zeichen besser
als ich. Das nächste Mal weiß ich Bescheid, werde mich besser
vorbereiten.
Zu verdanken haben wir die sandigen, wie für Reiter gemachten Pfade der erdgeschichtlichen Entwicklung der Region. Kein eiszeitlicher Gletscher hat diesen nördlichen Teil der Vogesen je erreicht und so blieben die mächtigen Schichten aus Buntsandstein erhalten, nur dem Wetter, Wind und Sonne ausgesetzt. Wie ein Bildhauer formten die Kräfte der Natur kunstvolle Steinskulpturen, in Fels gehauene Bögen und Türme, die wir heute vielerorts rund um Obersteinbach bestaunen können.
Tränken an einem der zahlreichen Dorfbrunnen
Mit der Dämmerung kehren wir zurück ins Hotel
Anthon, wo bereits ein delikates Drei-Gänge-Menü aus der Gourmetküche
auf uns wartet. Dass wir in groben Jeans und Pullover daher kommen,
nehmen die Gastgeber gelassen. Das familiengeführte Hotel und Restaurant
setzt auf Tier- und Naturliebhaber mit Freude an gutem Essen und
Trinken. Und so schwelgen wir in gebratener Entenbrust und köstlicher
Panna Cotta. Zufrieden bette ich mich abends im Hotelzimmer mit
gemütlich knarrendem Holzdielenboden und Blick auf die Pferdewiese. Der
Einstieg heute ist definitiv gelungen, wir haben die Pferde kennen
gelernt, ich bin mir mit Charmeur auch im Galopp einig geworden und habe
erst recht noch Lust auf mehr bekommen. Morgen, ja morgen schon geht es
weiter, den ganzen Tag gen Westen!
Die Tour führt uns auf schmalen Pfaden
bergauf. Ein dichter Wald aus Farn umgibt den Weg, wir müssen uns unter
tief hängenden Ästen bücken. Zwischen den Bäumen schimmert immer wieder
roter Sandsteinfels hervor, dann erreichen wir eine Felsnase, die sich
steil in die Landschaft schiebt. „Wer traut sich mit mir hinaus?“ fragt
Herbert. Wer es wagt, wird mit einer herrlichen Aussicht belohnt.
Jetzt auf zu einem guten Mittagessen im Restaurant du Hohenfels. Hinter dem Tresen Michelle, waschechte Waliserin, die uns auf Deutsch mit französischem und englischem Akzent die Angebote auf der „Plats du jour“ aufzählt. Wir wählen fünfmal Fisch, zweimal Königinnenpastete – die Entscheidung ist schnell gefallen, dazu gehört ein kühler Edelzwicker aus dem Steinkrug. Nach dem Essen macht sich wohltuende Müdigkeit breit, ein Nickerchen auf der Wiese bei den Pferden wäre nicht zu verachten und ist auch erlaubt.
Ausgeruht geht es nach einer Mittagspause im Restaurant du Hohenfels weiter.
Ohne Hektik beginnt auch der dritte Tag unserer
Elsässer Galoppaden. Endlich mal wieder ein richtiges Croissant zum
Frühstück, süß und fettig zerblättert es zwischen meinen Fingern,
obendrauf noch ein Klecks fruchtiger Marmelade, lecker! Mit strahlend
blauem Himmel und Sonnenschein begrüßt uns auch dieser Morgen. Zum Glück
ist es im Wald immer schön kühl, dennoch werden die Pferde von
zentimeterlangen dicken Bremsen geplagt – wahre Ungeheuer sind es, die
wir mit Zweigen und Handwedeln zu vertreiben versuchen. Gegen Mittag
erreichen wir die „Auberge des deux Chateaux“. Familien mit Kindern,
Motorradfahrer und Rentner haben das schöne Wetter für einen Ausflug ins
Grüne genutzt. Fast ungewohnt ist mir der Trubel, nachdem wir in den
vergangenen Tagen beim Reiten im Wald keiner Menschenseele begegnet
sind. Die Pferde binden wir an Bäumen im Wald an, es sind wahre Profis –
gelassen senken sie den Kopf, knabbern das Grün von den Bäumen und
entlasten das Hinterbein.
Oberhalb der Auberge befindet sich die Ruine der „Chateau Windstein“, wie verwachsen mit dem Fels ist sie ein Paradies für Kinder und jung gebliebene Abenteurer. Wer hier ist, sollte sich die Chance nicht entgehen lassen, den kurzen Fußweg hinaufzuklettern. Wie ein aufgeschlagenes Buch der Erdgeschichte erzählen die steilen roten Felswände mit groben und feinen Kieseinlagerungen und farbigen Gesteinsschichten vom Entstehen der Landschaft. In den Felsen sehen wir junge Kletterer, wie Spinnen an die Wand geklebt, unten haben sie ihre Zelte aufgebaut, manche spielen vor dem Zelt Gitarre, woanders streckt man sich lang aus und genießt die warmen Sonnenstrahlen.
Die roten Felswände bei der Burg Windstein gewähren einen Einblick in die Erdgeschichte.
Ruine der Burg Schöneck
Abends lassen wir den Tag draußen bei den Pferden
ausklingen. In der Dunkelheit entdecken wir Glühwürmchen, die wie
betrunken durch die Luft torkeln. Ein tiefes Gefühl von Sommer und
französischem Laissez-faire beschleicht mich und es fällt mir schwer,
aus dieser Behaglichkeit das Zimmer aufzusuchen. Aber die Nacht wird
kurz, am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen. „Um sieben Uhr auf dem
Pferd“, sagt Herbert. Das heißt also um sechs Uhr aufstehen und um halb
sieben bei den Pferden sein.
Früh am morgen liegt noch Nebel im Steinbachtal. Der Wald strahlt nächtliche Kühle aus, es herrscht Ruhe. Bevor wir los reiten, versammeln wir uns alle noch einmal um Herbert. „Dieser Ritt soll ein Schweigeritt sein“, sagt er. „Wir wollen uns mit allen Sinnen auf die Natur einstellen, auf ihre Geräusche, ihre Düfte, die Farben eines beginnenden Tages. Nur wer in Lebensgefahr ist, darf etwas sagen“ warnt er mit strengem Blick. Obwohl ich nicht zu der plappernden Zunft gehöre, stelle ich bereits nach fünf Minuten fest, dass es mir tatsächlich schwer fällt nichts zu sagen. Ein ungewohntes Gefühl ist es, so still, und doch nicht allein zu sein, aber je länger wir reiten, desto weniger merkwürdig ist es. Ich betrachte die wunderschöne Landschaft um mich herum, stelle mir vor, wie einst König Gunther, der Burgunderkönig des Nibelungenliedes, mit seinem Gefolge auf den Sandsteinpfaden hinauf zur Burg Wasigenstein geritten sein muss. Das Waltharilied erzählt vom blutigen Kampf zwischen den Helden der Nibelungensage, König Gunther und Hagen, mit Walther von Aquitanien. Hier in der Schlucht bei Burg Wasigenstein soll er sich ereignet haben, Gunther verlor einen Schenkel, Hagen ein Auge und Walther seine rechte Hand. Nach der Schlacht kommt es, Gottseidank, zur Versöhnung. Heute sind von der Burg Wasigenstein fast nur noch die Grundmauern übrig, trotzig streckt sich ein letzter Felsenturm rot leuchtend empor.
Geruhsam und ohne Hektik geht es durch die malerische Landschaft rund um Obersteinebach.
„Ich gehe nicht gerne hinauf zum Wasigenstein“ erzählt uns später Christine Jahn. Seit ihrer Kindheit beschleiche sie ein bedrohliches Gefühl auf dem Weg dort hinauf, erklärt sie und lieber meidet sie einen Besuch der Ruine. Gemeinsam mit ihrem Mann Christophe betreibt Christine hier im Tal nicht nur das kleine Burgenmuseum, sondern außerdem noch eine feine Islandpferdezucht, auch Wanderreiter sind hier Willkommen. Wir sitzen in ihrem bezaubernden Bauerngarten unter dem großen Nussbaum beim „petit déjeuner“. Im Stall nebenan schmatzt das Schwein Sarkozy lautstark sein Frühstück, Hühner gackern, auf der Weide schauen neugierig ein Lama und ein winziges Shetlandponyfohlen zu uns hinüber. Bullerbü auf Elsässisch. Und um unser Glück perfekt zu machen, ist Christophe auch noch Pâtissier und überrascht uns mit Schokoladen- und Himbeertorte zum träumen. „Ich habe Euch doch gesagt, dass ihr vorher nicht so viel essen sollt“ neckt uns Herbert. Während er sich in weiser Voraussicht zurückgehalten hat, haben wir uns natürlich bereits mit dem knusprigen Baguette, cremigem Ziegenkäse und frischem Joghurt vollgestopft, immerhin sind wir ohne Frühstück und schweigend zwei Stunden durch den Wald geritten – das macht Appetit! Aber den Torten von Christophe kann man sowieso nicht widerstehen, die dunkle Schokoladencreme zerschmilzt wie Butter auf der Zunge und die Himbeertorte schmeckt wie frisch vom Strauch gepflückt.
Christophe Jahn überrascht uns mit herrlichen Torten.
Wie der Wind sind vier wunderbare Reittage im Elsass vorüber gegangen. Ein wenig Wehmut kommt über mich, als wir gegen Mittag dem großen Pferdetransporter entgegensehen und dann zuschauen, wie die Pferde eines nach dem anderen verladen werden. Nach 16 Tagen im Wanderreiterparadies Elsass ist auch für Herbert und seine Pferde die Zeit des Abschiednehmens gekommen. Aber im nächsten Jahr wird er wieder hier sein, wie es nun seit 25 Jahren Tradition ist – mit seinen Elsässer Galoppaden, Burglegenden und Gaumenfreuden Reitgäste bezaubern und begeistern, so wie mich.
Willkommen in Obersteinbach! Hier, im nördlichsten Zipfel des Elsass liegt ein wahres Wanderreiterparadies. Entdecken und genießen kann man es mit Herbert Fischer vom Wanderreitbetrieb „Reisen zu Pferd“ und Leiter der Deutschen Wanderreiter-Akademie. An jeweils vier Tagen führt er seine Gäste auf schmalen Sandsteinpfaden zu sagenumwobenen Burgruinen und felsigen Zeugen der Erdgeschichte.
Text und Fotos: Heike Gruber
In leuchtenden Farben empfängt das kleine elsässische Örtchen Obersteinbach seine Gäste. In dörflicher Beschaulichkeit reihen sich die bunten Fachwerkhäuser entlang der Straße, fast scheint es als winkten sie den Passanten mit ihren roten, blauen und grünen Holzläden zu. An jedem Fenster, vor jeder Tür bunt bepflanzte Blumenkübel und -kästen, ein fast übertriebenes Farbenspiel, an dem man sich doch nicht satt sehen kann.
Auch das „Hotel und Restaurant Anthon“, das in den kommenden vier Tagen der Ausgangspunkt unserer Reittouren sein wird, kommt im hübschen rot daher. Oberhalb des Hotels thronen stolz die Ruine der Burg Klein-Arnsberg und bizarr geformter Sandsteinfels. Wer den Charme vergangener Zeiten und erlesene Speisen zu schätzen weiß, der wird hier, im „Anthon“, glücklich. Denn wenn man mit Herbert Fischer unterwegs ist, darf man nicht nur Ritte auf Traumpfaden erwarten, sondern nach einem erlebnisreichen Reittag auch mit einem Schlemmermenue vom Feinsten rechnen.
12:00 Uhr ist Treffpunkt am „Maison des Chateaux Forts“, einem kleinen Museum gleich neben dem Hotel gelegen. Hier empfängt uns Herbert Fischer, wie immer mit rotem Schal auf weißem Hemd, und hier treffen wir auch die anderen Reitgäste. Insgesamt sind wir zu siebt, acht Pferde hat Herbert vom heimatlichen Stall in Reckenthal ins Elsass mitgebracht. Bei sprudelndem Crémant d’Alsace, Baguette und Ziegenkäse lernen wir uns kennen, aus Vorfreude wird Freude: Endlich sind wir hier, heute Abend geht es los zum ersten Ritt!
Dieser wird uns rund um die Ruine der Burg Luetzelhardt führen, eine der zahlreichen mittelalterlichen Felsenburgen, die so typisch für diese Region sind. Viele Sagen und Legenden ranken sich um diese Burgen, sie handeln von Fehden und Liebe, von den Herren von Wasigenstein und Fleckenstein – keiner erzählt sie besser als Christine Jahn, die sympathische Leiterin des Maison des Chateaux Forts. Seit 25 Jahren betreut sie das liebevoll gepflegte kleine Museum, in dem es vor allem eines gibt: Geschichte zum anfassen. Da kann man eine schwere Kanonenkugel in den Händen wiegen, kühlen rauen Sandsteinfels spüren und durch zahlreiche Rekonstruktionen und Abbildungen einen Eindruck der einst mächtigen und kunstvoll in den Fels gehauenen Burgen gewinnen.
Am Spätnachmittag treffen wir uns hinter dem Hotel, wo die Pferde auf einer großen Wiese untergebracht sind. Nicht alle wollen sich direkt einfangen lassen und wir locken mit dem Futterbeutel. Dem können auch Django und Kalif nicht widerstehen und lassen sich am Halfter nehmen. Geputzt ist jetzt im Sommer schnell und schon sitzen wir oben.
Gleich hinter den Häusern empfängt uns die Natur mit offenen Armen, wir tauchen ein in den angenehm frischen Laubwald, in dem sich die Hitze des Tages nicht ausbreiten konnte. Schlanke Buchen, knorrige Eichen und borkige Esskastanien wachsen friedlich Seite an Seite. Zusammen mit dem nördlich der Landesgrenze gelegenen Pfälzer Wald bilden die Nordvogesen das größte zusammenhänge Waldgebiet Westeuropas, welches einer vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt Heimat bietet. 1998 wurde hier daher von der UNESCO das erste grenzüberschreitende Biosphärenreservat Europas ins Leben gerufen. Heute verbinden zahlreiche Wanderwege die beiden Regionen, vielen davon folgen auch wir mit unseren Pferden. Die Markierungen sind gut, nur die kleinen Verbindungswege des Vogesenclubs sollte man als Reiter meiden, rät Herbert. Bereits seit 25 Jahren ist er in den Wäldern der Nordvogesen zu Pferd unterwegs und schon auf manchen felsigen Pfad geraten, der für die Vierbeiner mehr als ungeeignet war.
Ich lasse mich auf Charmeur hinter Herbert treiben, muss nicht nach dem Weg suchen, keine Karte lesen, einfach nur genießen – herrlich. Die Pferde suchen sich trittsicher ihren Weg über Wurzeln und Felsblöcke, dann wieder erreichen wir einen dieser wunderbaren Sandwege. Ob Herbert vielleicht…? Und ja, er gibt ein Handzeichen, schon ist Charmeur im Galopp, er kennt die Zeichen besser als ich. Das nächste Mal weiß ich Bescheid, werde mich besser vorbereiten.
Zu verdanken haben wir die sandigen, wie für Reiter gemachten Pfade der erdgeschichtlichen Entwicklung der Region. Kein eiszeitlicher Gletscher hat diesen nördlichen Teil der Vogesen je erreicht und so blieben die mächtigen Schichten aus Buntsandstein erhalten, nur dem Wetter, Wind und Sonne ausgesetzt. Wie ein Bildhauer formten die Kräfte der Natur kunstvolle Steinskulpturen, in Fels gehauene Bögen und Türme, die wir heute vielerorts rund um Obersteinbach bestaunen können.
Mit der Dämmerung kehren wir zurück ins Hotel Anthon, wo bereits ein delikates Drei-Gänge-Menü aus der Gourmetküche auf uns wartet. Dass wir in groben Jeans und Pullover daher kommen, nehmen die Gastgeber gelassen. Das familiengeführte Hotel und Restaurant setzt auf Tier- und Naturliebhaber mit Freude an gutem Essen und Trinken. Und so schwelgen wir in gebratener Entenbrust und köstlicher Panna Cotta. Zufrieden bette ich mich abends im Hotelzimmer mit gemütlich knarrendem Holzdielenboden und Blick auf die Pferdewiese. Der Einstieg heute ist definitiv gelungen, wir haben die Pferde kennen gelernt, ich bin mir mit Charmeur auch im Galopp einig geworden und habe erst recht noch Lust auf mehr bekommen. Morgen, ja morgen schon geht es weiter, den ganzen Tag gen Westen!
Die Tour führt uns auf schmalen Pfaden bergauf. Ein dichter Wald aus Farn umgibt den Weg, wir müssen uns unter tief hängenden Ästen bücken. Zwischen den Bäumen schimmert immer wieder roter Sandsteinfels hervor, dann erreichen wir eine Felsnase, die sich steil in die Landschaft schiebt. „Wer traut sich mit mir hinaus?“ fragt Herbert. Wer es wagt, wird mit einer herrlichen Aussicht belohnt.
Jetzt auf zu einem guten Mittagessen im Restaurant du Hohenfels. Hinter dem Tresen Michelle, waschechte Waliserin, die uns auf Deutsch mit französischem und englischem Akzent die Angebote auf der „Plats du jour“ aufzählt. Wir wählen fünfmal Fisch, zweimal Königinnenpastete – die Entscheidung ist schnell gefallen, dazu gehört ein kühler Edelzwicker aus dem Steinkrug. Nach dem Essen macht sich wohltuende Müdigkeit breit, ein Nickerchen auf der Wiese bei den Pferden wäre nicht zu verachten und ist auch erlaubt.
Ohne Hektik beginnt auch der dritte Tag unserer Elsässer Galoppaden. Endlich mal wieder ein richtiges Croissant zum Frühstück, süß und fettig zerblättert es zwischen meinen Fingern, obendrauf noch ein Klecks fruchtiger Marmelade, lecker! Mit strahlend blauem Himmel und Sonnenschein begrüßt uns auch dieser Morgen. Zum Glück ist es im Wald immer schön kühl, dennoch werden die Pferde von zentimeterlangen dicken Bremsen geplagt – wahre Ungeheuer sind es, die wir mit Zweigen und Handwedeln zu vertreiben versuchen. Gegen Mittag erreichen wir die „Auberge des deux Chateaux“. Familien mit Kindern, Motorradfahrer und Rentner haben das schöne Wetter für einen Ausflug ins Grüne genutzt. Fast ungewohnt ist mir der Trubel, nachdem wir in den vergangenen Tagen beim Reiten im Wald keiner Menschenseele begegnet sind. Die Pferde binden wir an Bäumen im Wald an, es sind wahre Profis – gelassen senken sie den Kopf, knabbern das Grün von den Bäumen und entlasten das Hinterbein.
Oberhalb der Auberge befindet sich die Ruine der „Chateau Windstein“, wie verwachsen mit dem Fels ist sie ein Paradies für Kinder und jung gebliebene Abenteurer. Wer hier ist, sollte sich die Chance nicht entgehen lassen, den kurzen Fußweg hinaufzuklettern. Wie ein aufgeschlagenes Buch der Erdgeschichte erzählen die steilen roten Felswände mit groben und feinen Kieseinlagerungen und farbigen Gesteinsschichten vom Entstehen der Landschaft. In den Felsen sehen wir junge Kletterer, wie Spinnen an die Wand geklebt, unten haben sie ihre Zelte aufgebaut, manche spielen vor dem Zelt Gitarre, woanders streckt man sich lang aus und genießt die warmen Sonnenstrahlen.
Abends lassen wir den Tag draußen bei den Pferden ausklingen. In der Dunkelheit entdecken wir Glühwürmchen, die wie betrunken durch die Luft torkeln. Ein tiefes Gefühl von Sommer und französischem Laissez-faire beschleicht mich und es fällt mir schwer, aus dieser Behaglichkeit das Zimmer aufzusuchen. Aber die Nacht wird kurz, am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen. „Um sieben Uhr auf dem Pferd“, sagt Herbert. Das heißt also um sechs Uhr aufstehen und um halb sieben bei den Pferden sein.
Früh am morgen liegt noch Nebel im Steinbachtal. Der Wald strahlt nächtliche Kühle aus, es herrscht Ruhe. Bevor wir los reiten, versammeln wir uns alle noch einmal um Herbert. „Dieser Ritt soll ein Schweigeritt sein“, sagt er. „Wir wollen uns mit allen Sinnen auf die Natur einstellen, auf ihre Geräusche, ihre Düfte, die Farben eines beginnenden Tages. Nur wer in Lebensgefahr ist, darf etwas sagen“ warnt er mit strengem Blick. Obwohl ich nicht zu der plappernden Zunft gehöre, stelle ich bereits nach fünf Minuten fest, dass es mir tatsächlich schwer fällt nichts zu sagen. Ein ungewohntes Gefühl ist es, so still, und doch nicht allein zu sein, aber je länger wir reiten, desto weniger merkwürdig ist es. Ich betrachte die wunderschöne Landschaft um mich herum, stelle mir vor, wie einst König Gunther, der Burgunderkönig des Nibelungenliedes, mit seinem Gefolge auf den Sandsteinpfaden hinauf zur Burg Wasigenstein geritten sein muss. Das Waltharilied erzählt vom blutigen Kampf zwischen den Helden der Nibelungensage, König Gunther und Hagen, mit Walther von Aquitanien. Hier in der Schlucht bei Burg Wasigenstein soll er sich ereignet haben, Gunther verlor einen Schenkel, Hagen ein Auge und Walther seine rechte Hand. Nach der Schlacht kommt es, Gottseidank, zur Versöhnung. Heute sind von der Burg Wasigenstein fast nur noch die Grundmauern übrig, trotzig streckt sich ein letzter Felsenturm rot leuchtend empor.
„Ich gehe nicht gerne hinauf zum Wasigenstein“ erzählt uns später Christine Jahn. Seit ihrer Kindheit beschleiche sie ein bedrohliches Gefühl auf dem Weg dort hinauf, erklärt sie und lieber meidet sie einen Besuch der Ruine. Gemeinsam mit ihrem Mann Christophe betreibt Christine hier im Tal nicht nur das kleine Burgenmuseum, sondern außerdem noch eine feine Islandpferdezucht, auch Wanderreiter sind hier Willkommen. Wir sitzen in ihrem bezaubernden Bauerngarten unter dem großen Nussbaum beim „petit déjeuner“. Im Stall nebenan schmatzt das Schwein Sarkozy lautstark sein Frühstück, Hühner gackern, auf der Weide schauen neugierig ein Lama und ein winziges Shetlandponyfohlen zu uns hinüber. Bullerbü auf Elsässisch. Und um unser Glück perfekt zu machen, ist Christophe auch noch Pâtissier und überrascht uns mit Schokoladen- und Himbeertorte zum träumen. „Ich habe Euch doch gesagt, dass ihr vorher nicht so viel essen sollt“ neckt uns Herbert. Während er sich in weiser Voraussicht zurückgehalten hat, haben wir uns natürlich bereits mit dem knusprigen Baguette, cremigem Ziegenkäse und frischem Joghurt vollgestopft, immerhin sind wir ohne Frühstück und schweigend zwei Stunden durch den Wald geritten – das macht Appetit! Aber den Torten von Christophe kann man sowieso nicht widerstehen, die dunkle Schokoladencreme zerschmilzt wie Butter auf der Zunge und die Himbeertorte schmeckt wie frisch vom Strauch gepflückt.
Wie der Wind sind vier wunderbare Reittage im Elsass vorüber gegangen. Ein wenig Wehmut kommt über mich, als wir gegen Mittag dem großen Pferdetransporter entgegensehen und dann zuschauen, wie die Pferde eines nach dem anderen verladen werden. Nach 16 Tagen im Wanderreiterparadies Elsass ist auch für Herbert und seine Pferde die Zeit des Abschiednehmens gekommen. Aber im nächsten Jahr wird er wieder hier sein, wie es nun seit 25 Jahren Tradition ist – mit seinen Elsässer Galoppaden, Burglegenden und Gaumenfreuden Reitgäste bezaubern und begeistern, so wie mich.